Bildnachdichtungen

Von Brigitta Höpler

Am Anfang war ein Buch, ein Buchobjekt des Buchbindekünstlers Stefan Ortbauer, aus handgeschöpftem Papier und handgebunden. Luise Kloos war davon begeistert, hat in seiner Werkstatt so ein großformatiges Buchobjekt gekauft. Ein leeres, gebundenes Buch aus Himalayapapier. Und dann liegt es da, eine Leere und eine Fülle, eine Einladung und eine Möglichkeit. Aber auch eine Herausforderung und die Frage „Was werde ich damit machen?“
2015 kam eine Einladung der Künstler:innengruppe 77, sich künstlerisch mit dem Thema Buch auseinanderzusetzen. Für die Ausstellung Buch 77 konkretisierte Luise Kloos die Idee, Text in bildnerische Gestaltung, Poesie in Malerei zu übersetzen. Wie jedes Übersetzen ein Abenteuer, ein Aufbruch, eine Fährfahrt von einem Ufer zum anderen. Von den verdichteten Sprachbildern der Dichterin Christine Lavant zur weitgehend abstrahierten Bildsprache der Malerin Luise Kloos.
Luise Kloos hat eine besondere Begabung, zu begegnen, zu verbinden. Kunst entsteht für mich in dem Augenblick, in dem sich der Künstler, die Künstlerin mit einem Gegenüber verbindet, was auch immer dieses Gegenüber ist, ein Mensch, eine Landschaft, ein Augenblick, ein Eindruck. In diesem Augenblick der Verbindung verschmelzen Empfangen und künstlerische Umsetzung, Geben und Nehmen, Berührtwerden und Berühren.
Diese Begabung, sich mit einem Gegenüber zu verbinden, zeigt sich auf besondere Art und Weise in diesem Projekt „Poesie und Bild“. Das Gegenüber ist in diesem Fall eine Dichterin und ihre Lyrik. Im Sommer 2015, während einer Art Residency in Seckau, beginnt Luise Kloos mit dem Gedicht „Ich will das Brot mit den Irren teilen“.
Sie trägt es mit sich herum, auswendig, inwendig.
Für dieses erste Buch hat sie den Text mit ausgeschnittenen Buchstaben aus der Zeitung collagiert, ein langwieriger Prozess der Handarbeit des Schneidens und Klebens. Zugleich Reminiszenz an die Spracherneuerung, die Sprachexperimente der Wiener Gruppe in den 1950er/60er-Jahren, an die Zeit, in der Gedichte von Christine Lavant in die Welt gekommen sind. Die Sprache als Material, in die Hand genommen. Zwei weitere Bücher sind so entstanden. Die anderen Gedichte sind handschriftlich übertragen, Buchstabe für Buchstabe, Zeile für Zeile, Seite für Seite.
Luise Kloos künstlerische Herangehensweise ist, unter anderem, geprägt von der Pädagogik, der Psychologie, der Traumarbeit nach Ortrud Grön – ein Entschlüsseln und Übersetzen von Symbolen und rätselhaften Traumbildern in Sprache und dann wiederum in Malerei.
Umgesetzt mit Acrylfarbe, Bleistiften, Tuschstiften in eine weitgehend abstrakte Bildsprache: Farbfelder, zueinander in Beziehung gesetzt, Farbschichten, übereinandergelegt, vibrierende, sich wiederholende Linien, mit dem feinen Pinsel gesetzt, oft verdichtet wie Zeilen. Eingestreute narrative Elemente.
Die grobe Struktur des handgeschöpften Papiers entwickelt ein Eigenleben im Zusammenklang mit der Farbe, scheint in der Bildgestaltung feiner Farbnuancen immer wieder durch.
Von Buch zu Buch taucht Luise Kloos in ihren mitschwingenden Bildgestaltungen tiefer in den Sprachkosmos der Dichterin ein. Seit 2015 zieht sich die Künstlerin jeden Sommer einen Monat zurück, um ungestört an einem Gedicht von Christine Lavant zu arbeiten. Neun Buchobjekte sind so bisher entstanden. Drei Bücher in der Benediktinerabtei Seckau, sechs weitere bei der Art Residency in Millstatt Kunst&Co.
Diese Buchobjekte, Bücher ganz allgemein, sind für mich auch ein Textgehäuse. Der Schriftsteller, die Schriftstellerin stellt die Schrift, das Bild in den Raum, wir Betrachtende, Lesende können eintreten, uns darin bewegen und immer wieder verweilen. Wir können uns unterstellen in diesen Textgehäusen, Bildgehäusen. Wir können uns selbst begegnen. Solche Zufluchten vibrierender Stille, vielschichtiger Emotionen, zarter Linien, feiner Nuancen brauchen wir mehr denn je.
2025 sind die ersten acht Buchobjekte von Luise Kloos gesammelt als Publikation bei der Edition Keiper erschienen. Vom Künstlerinnenbuch, vom Unikat zur Reproduktion, zur Auflage. Zum wiederholten Lesen, Schauen, Verweilen, Erkennen, Vor- und Zurückblättern.